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Pressefreiheit
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Bilder für Autoren Durke Bernd Peter

Pressefreiheit

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  • BeschreibungPressefreiheit Gegenwart                                                   von Peter Durke / 30.01.2012   Die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Radio klingt emotionslos, beinahe kalt: “ .... heute in den frühen Morgenstunden wurde die Leiche der vermissten Agneta gefunden. Sie befand sic...
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Pressefreiheit Gegenwart                                                   von Peter Durke / 30.01.2012

 

Die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Radio klingt emotionslos, beinahe kalt:

“ .... heute in den frühen Morgenstunden wurde die Leiche der vermissten Agneta gefunden. Sie befand sich circa 2 Kilometer von ihrem Wohnort in einem kleinen Waldstück. Spaziergänger fanden sie vollkommen unbekleidet in der Nähe eines Weges. Nach ersten Informationen  der Staatsanwaltschaft steht die Todesursache noch nicht eindeutig fest, man muss jedoch von einem Sexualdelikt ausgehen...“

 

Das kommt überhaupt nicht gut an einem Sonntag Morgen beim Frühstück mit der Familie. So etwas kann sofort die ganze Stimmung verderben. Norbert Ungstein steht auf und geht zum Radio, um einen anderen Sender zu suchen.

„... die kleine Agneta wurde vor fünf Tagen von ihren Eltern als vermisst gemeldet. In vier Wochen wäre sie 8 Jahre alt geworden....“

 

Norbert verstellt den Sender. Sofort kommen Beschwerden. Ausgerechnet von seiner ältesten Tochter Eva. Das will sie unbedingt hören. Aber ein siebenjähriges Mädchen hat so etwas noch nicht zu interessieren. Und schon gar nicht an einem Sonntag morgen, beim traditionellen Frühstück mit der Familie.

 

Ein kurzer Blick von seiner Frau. Stilles Einverständnis. Sie will diese Nachrichten also auch nicht hören. Und der kleinen Klara ist Popmusik sowieso viel lieber. Mit ihren fünf Jahren kennt sie schon viel mehr Titel als ihre große Schwester, vor allem die englischen. Jetzt summt sie fröhlich mit.

 

Eva macht derweil ein langes Gesicht. Sie fühlt sich übergangen. Die Stimmung droht zu kippen. Norbert will etwas sagen, will für Entspannung sorgen. Aber er kann nicht, ist wie blockiert. Diese Meldung. Wie kann ein Mensch einem kleinen Mädchen so etwas Grausames antun. So klein, so unschuldig. Kalter Schweiß tritt ihm auf die Stirn, der Magen krampft. Unsicher geht er zum Tisch zurück, setzt sich. Ein hilfesuchender Blick zu seiner Frau.

 

Sie erkennt seine Betroffenheit sofort und schafft es in ihrer unnachahmlichen Art, die gute Laune wieder herzustellen. Schnell ist die Meldung vergessen. Und auch Norbert entspannt sich langsam. Aber die Unruhe bleibt, zwar im Hintergrund, aber dennoch drohend, aggressiv. Ähnlich wie schwarze Wolken, die jederzeit bereit sind, den kompletten Himmel zu verdunkeln.

 

Der Rest des Tages verläuft fröhlich und harmonisch. Die Kinder spielen ausgelassen und lachen sehr viel. Nur Norbert ist etwas ruhiger als sonst, zieht sich mehr zurück. Wortkarg nimmt er das Geschehen um sich herum nur teilweise wahr. Er spürt die dunklen Wolken, drängt sie mit aller Kraft zurück. Versucht, sie ganz zu verjagen oder gar aufzulösen.

 

Am Ende des Tages. Die Kinder schlafen längst in ihren Betten, ihre Mutter sitzt davor in einem Schaukelstuhl und schläft wie immer ebenfalls tief und fest. Norbert sitzt vor dem Fernsehen und läßt sich berieseln. Was da läuft, bekommt er nur am Rande mit. Agneta spukt ihm durch den Kopf. Dieses arme, kleine, süße, unschuldige Mädchen mit ihren großen Kulleraugen. Wie seine beiden Töchter, zierlich, zerbrechlich und doch lebhaft. Wenn er sich vorstellt, eines seiner Kinder ..... Er würde diesen Perversling  eiskalt umbringen, ihm die Eier abschneiden und ganz langsam verbluten lassen.

 

Durch den Alkoholdunst, mindestens vier Bier und einige Schnäpse, der Abend war lang und einsam, dringt die Stimme einer Fernsehmoderatorin, Sabine Soundso. Sie spricht vom Caroline-Urteil, diskutiert mit einigen Prominenten über die Einschränkung der Pressefreiheit durch den europäischen Gerichtshof. Das interessiert ihn. Er schiebt sich in seinem Sessel hoch und hört aufmerksam zu.

Natürlich vertritt diese Fernsehtante die Ansicht, dass dieser Einschnitt in die Pressefreiheit unzulässig, ein Verstoß gegen Grundrechte sei und dass die Bundesregierung unbedingt ein Veto innerhalb der vorgeschriebenen Frist einlegen sollte. Und ebenso natürlich vertreten einige der anwesenden Prominente die Meinung, dass die tiefen Einschnitte durch Paparazzies in die Privatsphäre berühmter Menschen unerträglich seinen und somit das Urteil des europäischen Gerichtshofes absolut in Ordnung sein müsse.

 

Langsam wird Norbert zornig. Eigentlich mag er ja diese Talkshows überhaupt nicht, weil er nicht mit diskutieren kann, ganz egal, was diese Typen im Fernsehen da von sich geben. Das hier ist doch auch wieder völlig vorbei am eigentlichen Thema. Ob die Privatsphäre eines Prommies verletzt wird oder nicht, ist doch nun wirklich schnurzpiepegal.

 

Viel wichtiger ist doch die Meinungsmanipulation, die immer häufiger ausgeübt wird. Und natürlich die Vorbildfunktion. Die Medien haben unumstritten eine riesige Vorbildfunktion. Und was machen sie damit. Sie nutzen sie schamlos aus. Wie war das doch gleich: Bad news are good news... oder so ähnlich. Die miesesten, grausamsten Meldungen garantieren die höchsten Zuschauerzahl, das größte Interesse in der Bevölkerung. Also werden fast nur noch grausame, abstoßende, dramatische Nachrichten gebracht. Das bringt am meisten Geld. Alles heute dreht sich doch nur noch um das liebe Geld, um Gewinnmaximierung, um Umsatz.

 

Und die Konsequenz, das Ergebnis dieser Glanzleistungen? Potentielle Kleinkriminelle erhalten wertvolle Tipps, Bombenbastler erfahren, dass sie im Internet Ihre Bauanleitungen finden können. Nazis finden immer neue Plattformen und und und ...

Aber das schlimmste ist doch die Motivation von diesen sogenannten passiven Psychopathen. Gerade für Einzeltäter, die ihre Informationen nicht über ein kriminelles Umfeld beziehen können, ist die heutige Nachrichtenkultur eine wahre Fundgrube. Und hier finden sie alle moralischen Unterstützungen, die sie brauchen. Frei nach der Devise: Da schau, ich bin nicht der Einzigste. So geht das. Und so schlimm ist das alles nun auch wieder nicht. Das kann ich auch. Eigentlich ist das ganz einfach.

 

Norbert ist so vertieft in seine Gedanken, dass er das Geschehen auf dem Bildschirm völlig aus den Augen verloren hat. Und da ist es plötzlich. Bildschirmfüllend. Ein Bild von Agneta. Lächelnd. So schön. Norbert ist nicht mehr in der Lage, sich zu rühren. Stocksteif, aufrecht sitzt er in seinem Sessel. Schweiß, am ganzen Körper. Paralysiert. Den Ton nimmt er nicht war. Nur das Bild. Er muss es anstarren.

 

Und dann ist das Bild weg. Ein Nachrichtensprecher verliest eine andere, neue Meldung. Er versteht sie nicht. Nur langsam nimmt er seine Umwelt wieder wahr. Den Schweiß. Die Starrheit seines Körpers. Die absolute Verkrampftheit von Geist und Körper. Was ist nur los mit ihm? Warum nimmt ihn diese Sache so ungeheuerlich mit? Sicher, das alles ist entsetzlich, eklig und auch abstoßend. Keiner bleibt davon unberührt. Aber das ist doch nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Und außerdem kennt er dieses Mädchen überhaupt nicht. Hat keinerlei Bezug zu ihr.

 

Und dann merkt er es. Spürt seine Erektion. Warum ....? Warum nur? Panik ergreift ihn. Was geht hier vor? Was passiert mit mir? Er springt aus seinem Sessel, stolpert, rafft sich auf und stürzt ins Bad. Unter die Dusche. Kalt, nur kaltes Wasser. Er muss wieder runter kommen von seinem Trip. Wieder klar werden. Er duscht eine halbe Stunde eiskalt, bis die Kälte in seinen Knochen ankommt. Bis er zitternd die Zähne aufeinander schlägt.

In dieser Nacht kann Norbert nicht schlafen. Er wälzt sich unruhig in seinem Bett herum. Tagträume quälen ihn ununterbrochen. Irgendwann kommt seine Frau schlaftrunken ins Bett gekrabbelt. Von seinem Zustand bekommt sie nichts mit.  Ein abwesendes „Gute Nacht, Schatz!“ und schon liegt sie auf der Seite, zusammengerollt, gleichmäßig atmend, fast sofort im Tiefschlaf. Wie nahezu jede Nacht. Diese Gleichmäßigkeit, diese Routine sollte ihn eigentlich beruhigen. Aber er wird nicht ruhiger in dieser Nacht.

 

Am nächsten Morgen, Montagmorgen, ist alles wie immer. Der Wecker klingelt um 06.30 Uhr. Er ist natürlich als Erster im Bad. Seine Frau geht runter in die Küche, macht die Kaffeemaschine an, bereitet Frühstück vor. Als er aus dem Bad kommt, riecht es bereits im ganzen Haus nach Kaffee. Wie immer. Alles ist wie immer, ganz normal.

 

Aber es ist nicht wie immer. Etwas ist anders. Er ist anders. Verwirrt schaut er sich um. Versucht, sich zu beruhigen. Alles ist gut. Er hat sich ein schönes Leben aufgebaut. Gute bürgerliche Existenz. Ein Haus, fast völlig bezahlt. Eine Frau, die er liebt, zwei reizende Töchter. Erfolg im Beruf. Also überhaupt kein Grund zur Panik.

 

Aber die Panik sitzt ihm im Nacken, die dunklen Wolken drohen. Seine Frau sieht ihn besorgt an und will wissen, ob er schlecht geschlafen hat. Nein, alles in Ordnung. Ein Blick ins Wohnzimmer, auf die leeren Bierflaschen, auf das benutzte Schnapsglas, beruhigt sie sofort wieder. Du hast wieder mal zuviel getrunken gestern Abend, und jetzt hast du einen Kater. Geschieht dir ganz recht. Was musst du auch immer saufen.  

 

Ein starker Kaffee, noch einer, langsam wird er klarer im Kopf. Die beiden Mädels kommen in die Küche gestürmt. Papi, Papi, musst du heute wieder arbeiten gehen? Natürlich muss er heute wieder arbeiten. Wie immer. Alles ist wie immer. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass er bereits zu spät ist. Ein überhasteter Aufbruch, Küsschen hier und Küsschen da, beendet die kurze Harmonie in der Küche.

 

Im Wagen muss er erst einmal kräftig durchatmen. Kann er in seinem Zustand überhaupt Auto fahren? Und was ist das überhaupt für ein Zustand? Das kann doch gar nicht sein, dass jemand von einer Meldung im Radio, oder meinetwegen im Fernsehen, so aus der Bahn gerissen wird. Und wenn die Meldung noch so schlimm ist, das kann und das darf so nicht sein.

 

Ein Blick auf die Uhr. Norbert muss dringend in sein Büro. Er ist schon jetzt viel zu spät. Wegen so einer ...mentalen?... Schwäche kann er doch sein Leben nicht einfach unterbrechen. Alles muss so weiter gehen wie gewohnt. Und was ist denn schon passiert. Durch irgendeine Meldung ist er ... ja was eigentlich? Ein wenig durcheinander? Aber diese Meldung betrifft ihn ja nicht, nicht wirklich. Das ist in den Griff zu bekommen. Er wird es in den Griff bekommen. Er muss nur einfach so weiter machen wie bisher.

 

Norbert fährt rückwärts aus der Garage, auf die Straße, in Richtung Büro. Vorsichtshalber hat er das Autoradio ausgeschaltet. Wer weiß, was die wieder bringen würden. Der Arbeitstag verläuft problemlos. Er hat viel zu tun, ist sehr stark eingespannt und findet dadurch keine Zeit, über sein ...Problem?... nachzudenken. Zwar ist er etwas wortkarger, unkonzentrierter, manchmal sogar richtig abwesend. Aber das fällt niemandem auf, schließlich ist er ja der Boss. Und ein Boss darf auch mal mies gelaunt sein.

Am Abend muss er überraschend länger arbeiten und das ist ihm gerade recht. Norbert hat irgendwie keine Lust, nach Hause zu fahren. Zu Hause, das heißt Freizeit, Entspannung, Kopffreiheit. Aber mit der Kopffreiheit müsste er sich wieder seinem Problem stellen. Und das will er nicht. Besser ist da Ablenkung, ja vielleicht auch Verdrängung. Also arbeitet er weiter. Bis 10 Uhr abends, bis gar nichts mehr zu tun ist.

 

Widerwillig begibt er sich zu seinem Wagen, fährt los, in Richtung zu Hause. Vielleicht sind die Mädchen ja noch wach und er kann ihnen eine gute Nacht wünschen. Darauf warten sie immer, jeden Abend. Vorhin hat er mit seiner Frau telefoniert und ihr gesagt, dass er bald zuhause sein würde. Sie versprach, mit den Mädchen zu warten, wenn es nicht zu lange dauern würde. Aber je näher er seiner Familie kommt, desto mehr Unbehaben erfasst ihn. Er weiß, sie würden auf ihn warteten, sind bestimmt schon todmüde und halten mühsam die Augen offen. Aber das Unbehagen wird immer stärker und gewinnt schließlich die Oberhand.

 

Er kann ja noch auf ein schnelles Bier im Anker vorbeischauen. Das dauert ja nicht lange und vielleicht kommt er dabei ja auch auf andere Gedanken. Nur ein schnelles Bier, das ist ja nicht so schlimm, das kann jeder verstehen. Er ruft seine Frau an, sagt, dass er noch aufgehalten wird. So ist das nun mal, wenn man Verantwortung trägt. Da gibt es keine Stoppuhr. Schönen Gruß an die Mädels, gute Nacht, warte nicht auf mich, das kann länger dauern heute.

 

Der Anker ist mäßig besetzt. Montags ist hier nie viel los. Zwei ihm unbekannte Männer sitzen an einem Tisch weit hinten im Raum. Ein, offenbar verliebtes, Pärchen sitzt in einer anderen Ecke und turtelt. Die Bar ist komplett frei, nur der Wirt steht dahinter und putzt Gläser. Musik läuft im Hintergrund. Die klassische Kneipenszene, fast schon ein Klischee. Das ist genau das, was er jetzt braucht.

 

Norbert setzt sich an die Bar. Ein kurzes Hallo, freundliche Worte, man kennt sich. Ein Wodka und ein Bier, in der Reihenfolge bitte. Seine Anspannung löst sich langsam. Es ist doch die richtige Entscheidung, hierher zu gehen. Seine Schuldgefühle sind vollkommen unnötig. Jetzt kommen seine Getränke. Er trinkt zuerst den Wodka, dann das Bier. Der erste Schluck Bier ist immer der Beste. Das Gleiche bitte noch mal. So viel Zeit musst sein.

 

Die zweite Runde trinkt er langsamer. Genießt sie regelrecht. Aber die dunklen Wolken lösen sich nicht auf, ziehen sich lediglich zurück, weit zurück. Bis sie kaum noch wahrnehmbar sind. Aber so geht es nicht weiter. Er muss sich seinen Problemen stellen. Und er muss wieder nach hause gehen. Bald, eigentlich sofort. Aber warum sofort. Die Mädchen schlafen sicher schon längst. Und seine Frau sitzt bestimmt wieder im Kinderzimmer auf dem Schaukelstuhl und schläft ebenfalls. Alles ist wie immer. Keiner wartet auf ihn. Er hat Zeit.

 

Trotzdem. Irgendwann muss er sich stellen. Muss klären, was am Sonntag und in der Nacht mit ihm geschehen ist. Aber nicht gleich, zuerst noch ein kleines Bier, und vielleicht auch noch einen Wodka. Die Tür hinter dem Tresen, die Tür in die Küche öffnet sich. Norbert blickt hoch. Und dann sieht er sie. Agneta. Leibhaftig. Sie sieht genauso aus, wie das Mädchen aus dem Fernsehen. Schweißausbrüche.  Paralyse. Anstarren. Er kann nicht anders.

 

Zum Glück hat sich der Wirt ungedreht. Er ieht die Kleine und ist hoch erfreut. Hallo, meine Kleine. Wo kommst du denn her. Schläfst du noch nicht. Es ist doch schon längst nachtschlafende Zeit. Das Mädchen wird hochgehoben, ein Kuss auf die Wange, einmal feste drücken. Sie ist aufgewacht und kann nicht mehr einschlafen. Jetzt sucht sie ihre Oma. Der Wirt wendet sich an Norbert. Das ist meine kleine Enkelin. Sie ist bei uns zu Besuch. Und das ist der Norbert, ein lieber Stammgast. Stammgast, wieso Stammgast. So oft ist er nun auch wieder nicht hier. Die Starre löst sich langsam. Er kann sogar ein wenig nicken. Brauchst du noch etwas, ich muss mal kurz die Oma suchen gehen mit der Kleinen. Nein, nein, ich will sowieso gerade gehen. Schreib später einfach an, ich bin dann weg.

 

Während der Wirt sich mit der Kleinen durch die Küchentür schiebt, verläßt Norbert das Lokal. Geht direkt zu seinem Wagen, steigt ein, startet den Motor. Und erstarrt. Wie lange er so sitzt, kann er später nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall eine ganze Zeit lang. Dann nimmt er sein Umfeld wieder wahr, erst langsam, undeutlich, dann aber immer klarer. Der Motor läuft, er macht ihn aus.

 

Was ist passiert. Langsam kommen auch seine Erinnerung wieder. Das kleine Mädchen hinter der Bar fällt ihm wieder ein. Agneta. Aber das kann doch gar nicht Agneta sein. Sie ist tot. Zumindest haben die Nachrichten gesagt, dass sie tot ist. Hat er nur geträumt? Zuviel Alkohol und dann einfach im Auto eingeschlafen. Kann das sein? Oder vielleicht doch nicht?

 

Er braucht Sicherheit. Er muss wissen, ob es dieses Mädchen wirklich gibt. Oder ob er halluziniert hat. Unbedingt. Wie ist das doch gleich. Der Wirt wohnt mit seiner Frau gleich hinter der Kneipe in einer Erdgeschosswohnung. Das weiß er, der Wirt hat einmal davon erzählt.

 

Norbert verlässt den Wagen und schlendert, betont lässig, am Anker vorbei. Dabei vergewissert er sich unauffällig, dass keiner mehr auf der Straße oder in der Nähe ist. Es ist wichtig, dass er nicht gesehen wird. Dann geht er durch das Tor in den Hinterhof, bleibt zunächst in einer dunklen Ecke stehen. Er muss sich orientieren. Da, hinten im Fenster brennt Licht. Er sieht die Wirtin. Sie sitzt mit dem Rücken zum Fenster und liest offenbar in einem Buch. Mehr ist nicht zu sehen. Er muss näher ans Fenster heran, muss mehr sehen. Er schleicht, mit dem Rücken zur Wand, immer im Dunkeln, um den Hof, bis zum Fenster. Ein vorsichtiger Blick in das Fenster. Das ist relativ ungefährlich, die Wirtin kann ihn nicht sehen, sie sitzt ja mit dem Rücken zum Fenster. 

 

Da liegt sie. Auf einer Couch, zugedeckt, schlafend. Agneta. Wieder erstarrt er, kann den Blick nicht von ihr lösen. Also gibt es sie wirklich, er hat nicht geträumt. Und sie lebt. Die Nachrichten sind falsch. Da sieht man mal wieder, was die immer für einen Mist  berichten. Ganz plötzlich löst sich alle Anspannung. Er wird sich seiner Umgebung wieder voll bewusst. Erleichterung. Die ganze Aufregung umsonst.

 

Was treibt er hier eigentlich. Was soll der Scheiß. Er schleicht sich, verstohlen wie ein getretener Hund, aus dem Hof, steigt in seinen Wagen und fährt nach hause. Unterwegs fragt er sich kurz, was ihn wohl so beunruhigt hat, geradezu in Panik versetzt hat. Er kennt diese Agneta doch gar nicht, hat sie nie vorher gesehen. Kein Wort mit ihr gesprochen. Sie wohnt sogar ziemlich weit weg, wenn man den Nachrichten glauben will. Er kann sie gar nicht kennen. Aber das ist ja auch alles egal. Eine Falschmeldung. Kein Grund mehr zur Panik.

 

In dieser Nacht schläft Norbert wie ein Stein. Er hat Nachholbedarf. Sogar seine Frau bekommt er nicht mit, als sie irgendwann in der Nacht in ihr Bett kriecht. Am Morgen überhört er sogar seinen Wecker, schläft fast eine Stunde zu lang. Seine Kinder wecken ihn dann. Papi, musst du nicht aufstehen und arbeiten gehen.

 

Ein extrem kurzer Aufenthalt im Bad, ein in aller Eile heruntergestürzter Kaffee, so beginnt sein Arbeitstag. Im Büro hat man Verständnis, er hat ja am Abend zuvor bis in die Puppen gearbeitet. Ein bisschen Erholung braucht jeder. Außerdem, er ist ja der Boss. Gegen 11.00 Uhr bringt ihm seine Sekretärin einen extra starken Kaffee. Den wird er bestimmt brauchen können, meint sie. Dankbar nimmt er an. Ob er von dem kleinen Mädchen gehört hat, dass da umgebracht wurde. Schrecklich. Das arme Kind.

 

Na ja, das ist ja wohl alles eine Zeitungsente. Ein großer Irrtum. Norbert wirkt entspannt und relaxt. Wieso, heute morgen in der Zeitung steht doch wieder was darüber drin. Sie haben sie obduziert. Was der Mörder mit dem armen Kind alles angestellt hat, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Die schreiben das ja nicht so genau, aber man kann es sich ausmalen. Furchtbar. Was ist das bloß für ein Mensch, der so etwas tut. Wollten sie die Zeitung haben, ich hab sie draußen liegen.

 

Norbert will ablehnen. Er weiß es ja besser. Da steht sicher wieder derselbe Quatsch drin wie gestern. Das braucht er nicht. Aber seine Sekretärin ist schon aus dem Zimmer. Sekunden später ist sie wieder zurück, schlägt die Zeitung auf, knallt sie auf seinen Schreibtisch und deutet mit dem Finger auf das Bild von Agnete. Norbert verkrampft, aber nicht so stark wie sonst, er weiß es ja  besser. Da lesen sie, lesen sie nur, da steht alles ganz genau drin. Sein Blick löst sich von dem Foto, wendet sich dem Text zu: „... Die Obduktion der kleinen Agneta ist abgeschlossen. Sie starb an einer Kopfverletzung. Der Oberstaatsanwalt äußerte sich wie folgt: Ob es sich um einen vorsätzlichen Mord oder um einen Totschlag im Zusammenhang mit den Sexualdelikten handelt, können wir noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher ist jedoch ...“

 

Norbert kann nicht weiterlesen. Sein Magen krampft sich schlagartig zusammen. Er springt auf, rennt zur Mitarbeitertoilette und übergibt sich. Übergibt sich, bis der Magen ganz leer ist, bis nur noch Galle kommt. Was soll das alles, warum nimmt ihn das so mit. Selbst wenn die Meldungen doch richtig sind, was hat er damit zu tun. Nichts. Absolut nichts. Er verlässt die Toilette wieder. Seine Sekretärin wartet auf ihn. Sie schaut ihn völlig geschockt an. Ist Ihnen nicht gut. Kann ich helfen.

 

Er verlässt seinen Arbeitsplatz ohne ein Wort. Zieht einfach seinen Mantel an und verschwindet. Die fragenden Blicke seiner Mitarbeiter ignoriert er. Fast rennt er zu seinem Wagen. Nur weg, einfach weg. Er fährt eine Ewigkeit, ohne Ziel und Verstand. Einfach fahren, egal wohin. 

Irgendwann bleibt er stehen. Sein Kopf ist ganz leer. Er hat aufgehört zu denken. Totale Erschöpfung macht sich breit. Er sackt in sich zusammen, schläft ein.

 

In der Nacht wird er wieder wach. Alle Knochen tun ihm weh. Kein Wunder, so wie er da in seinem Sitz hängt. Er blickt sich um. Keine Ahnung, wo er hier ist. Die Gegend hat er noch nie gesehen. Außerdem ist es ja dunkel, da kann man eh nicht viel sehen. Langsam wird sein Kopf klar, glasklar sozusagen. Er denkt nach, wird dabei immer noch klarer und versucht, jetzt endlich, rational an die Sache heran zu gehen.

 

Was passiert hier. Er rennt doch vor sich selbst weg. Ist ständig in Panik. Sein regelmäßiges Leben ist nun auch unterbrochen, sein Umfeld verunsichert. Er gerät immer mehr in Erklärungsnotstand. Aber warum. Was ist der Auslöser. Angefangen hat alles am Sonntag, mit dieser Radiomeldung. Davor haben die Medien schon öfter über das vermisste Mädchen berichtet, haben Bilder gezeigt, die Suchaktionen beschrieben. Das hat er aber nicht so richtig verfolgt. Es hat ihn nicht interessiert. Erst mit der Meldung vom Tod des kleinen Mädchens beginnt diese sonderbare Verunsicherung. Und dann das Erlebnis Sonntag Abend vor dem Fernseher.

Vor seinem inneren Auge erscheint das Bild von Agneta. Er wird unruhig, kommt einer Panik immer näher, verkrampft. Sein gesamter Unterleib brennt. Erst Erektion, dann Ejakulation. Wildes Entsetzen packt ihn. Sein Körper tut Dinge, die er nicht kontrollieren kann, nicht beherrschen kann. Und es wird immer schlimmer. Aber was passiert mit ihm Ist er besessen? Von einem bösen Geist, der versuchte, Besitz von ihm zu ergreifen?

So ein Blödsinn. So etwas gibt es nur im Fernsehen.

 

Aber irgendetwas macht ihn verrückt, ergreift Besitz von ihm, ohne dass er es kontrollieren kann. Und dann die Erektionen, ohne jede sexuelle Erregung. Er empfindet nichts, rein gar nichts, und trotzdem ... So etwas ist ihm vorher noch nie passiert. Ist eigentlich auch gar nicht möglich. In letzter Zeit muss er ja sogar um eine Erektion kämpfen, muss sich sexuell  stimulieren lassen. Die Auswirkungen einer in Routine erstarren Ehe eben. Was geht nur in ihm vor. Sein Handy klingelt. Ein Blick auf das Display. Seine Frau ruft an. Zum wiederholten Mal.

 

Das geht aber nicht. Jetzt kann er nicht mit ihr sprechen. Später vielleicht. Auch wenn sie sich Sorgen macht, jetzt nicht. Irgendwann hört das Handy auf zu lärmen. Die Mailbox hat übernommen. Was soll er nur tun, was kann er tun. Vielleicht kann ihm ein Seelendoktor helfen. Er kennt da einen in der Stadt. So weit er weiß, wohnt der sogar bei seiner Praxis.

 

Er startet den Wagen. Aber wohin soll er fahren, in welche Richtung. Er hat doch gar keine Ahnung, wo er ist. Erst mal wenden, zurückfahren ist bestimmt eine gute Idee. Vollgas, er hat es eilig. So schnell wie irgend möglich will er mit jemanden sprechen. Mit Jemanden, der Ahnung davon hat, was mit ihm geschieht. Der ihm vielleicht sogar helfen kann, die Kontrolle über seinen Körper wieder zu gewinnen.

 

Er rast über die Landstraße, holt aus dem Wagen raus, was möglich ist. Das es regnet, merkt er erst nach einiger Zeit. Die Scheibenwischer verhelfen ihm zu einer besseren Sicht. Aber viel mehr kann er trotzdem in der Dunkelheit nicht erkennen. Keine Schilder, kein Hinweis, wo er sich befindet Nur strömender Regen vor dunklen Hintergrund, eine enge Landstraße ohne Markierung. Ab und an ein vorbeirasender Baum. Kein anderes Fahrzeug weit und breit.

Eine Brücke taucht im Fernlicht auf. Eine sehr schmale Brücke, einspurig. An beiden Seiten befindet sich ein aufsteigendes Geländer. Das er zu schnell war, bemerkt er viel zu spät. Aus dem Geländer wird ein Katapult. Der Wagen hebt ab, die Motorhaube senkt sich im Flug nach unten ab. Im Fernlicht sieht er weit vor sich einen kleinen Bach, durchsetzt mit Felsen, an denen sich das Wasser bricht. Jetzt erst begreift er, was auf ihn zukommt. Einen kurzen Augenblick lang ergreift ihn eine laut brüllende Furcht. Dann absolute Stille. Dunkelheit. Nur ein kleines weißes Licht, langsam größer werdend. Vom Aufprall und der darauf folgenden Explosion merkt er nichts mehr.

Zwei Tage später.

Die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Radio klang emotionslos, beinahe kalt:

„.... teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass der im Fall Agneta gestern in den Abendstunden festgenommene Jugendliche aus der Nachbarschaft des Mädchens ein umfangreiches Geständnis abgelegt hat. Demzufolge kam Agneta bei dem Versuch einer unsittlichen Annäherung zu Tode. Der Festgenommene gilt als zurückgeblieben. Er war bisher jedoch nicht abfällig geworden. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen lag keine Tötungsabsicht vor.

Und nun Nachrichten aus der Region. Der Fahrer des gestern in den frühen Morgenstunden aufgefundenen völlig ausgebrannten PKWs konnte identifiziert werden. Er galt seit dem Abend als vermisst. Die Unfallursache bleibt weiterhin ungeklärt, die Untersuchungen sind jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen ........

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